App-solut ausgeschlossen – Wenn Digitalisierung zur digitalen Ausgrenzung wird

Es gibt Tage, da liest man eine E-Mail und denkt: „Das ist jetzt ein Scherz, oder?“ Leider war es keiner.

Eigentlich wollte ich nur meine persönlichen Daten ändern bei meiner Krankenversicherung ändern. Doch mein Log-In (gespeichert in einem gut gesicherten Passwort-Manager) funktionierte nicht. Merkwürdig. Nach etlichen Versuchen kam dann plötzlich die Anzeige, ich müsse die Zwei-Faktor-Authentifizierung in der App bestätigen. Häh? Ich nutze die App doch gar nicht. Habe ich auch noch nie! Da ich selbst nicht weiterkam, schrieb ich eine Nachricht an meine Kundenbetreuerin. – Per E-Mail, denn über das Portal war das ja nicht möglich …

Jetzt kam die Antwort: Die IKK Südwest informierte mich, dass der Zugang zum Online-Portal ausschließlich über die hauseigene App möglich sei – aus Datenschutzgründen natürlich. Und wer die App nicht nutzen will oder kann? Tja, der bekommt seine Unterlagen künftig eben nur noch per Brief. Kein Zugang über E-Mail, keine SMS-TAN, keine Alternativen. Willkommen im digitalen Jahr 1997.

Sicher ist sicher? Oder einfach nur bequem?

Versteh mich nicht falsch: Datenschutz ist wichtig. Keine Frage. Aber was hier als Sicherheit verkauft wird, ist in Wahrheit eine bequeme Einbahnstraße.

Die Argumentation lautet: Eine App mit Zwei-Faktor-Authentifizierung sei sicherer als andere Methoden. Das mag technisch stimmen – wenn man davon ausgeht, dass jede*r ein aktuelles Smartphone besitzt, regelmäßig Updates installiert, keine offenen WLANs nutzt, keine Hör- oder Sehbehinderung hat, und sowieso morgens mit der IT-Wolke kuschelt.

Aber das Leben sieht anders aus:

  • Viele ältere Menschen haben kein Smartphone oder wollen es schlicht nicht benutzen.
  • Menschen mit körperlichen oder kognitiven Einschränkungen scheitern an der Bedienung – nicht aus Unfähigkeit, sondern wegen mangelhafter App-Bedienbarkeit.
  • Und was ist mit Menschen in sozial schwierigen Situationen, die sich nicht mal eben ein neues Gerät leisten können?

Das ist keine Digitalisierung, das ist digitale Diskriminierung.

Briefpost – der neue Sicherheitsstandard?

Der Knaller kam dann im zweiten Absatz der Nachricht:
Wenn man die App nicht nutzt, bekommt man seine sensiblen Gesundheitsdaten eben per Post zugeschickt.

Moment mal…
📬 Ein Brief, der bei Wind und Wetter durch etliche Hände geht, den jeder öffnen kann, der ihn in den Fingern hat – der gilt als sicherer als eine verschlüsselte E-Mail?

Ernsthaft, Deutschland?
Wenn Datenschutz ein Theaterstück wäre, dann hätten wir hier die Requisite verloren und spielen trotzdem weiter. Inklusive Bühnennebel.

Digitalisierung ≠ App-Zwang

Natürlich brauchen wir sichere Lösungen – gerade bei Gesundheitsdaten. Aber Sicherheit darf nicht heißen: „Du musst die App nehmen, Punkt.“
Digitalisierung muss Wahlfreiheit bieten.

Viele Banken, Behörden und Portale setzen längst auf mehrstufige Authentifizierung mit verschiedenen Optionen:

  • App,
  • SMS-TAN,
  • E-Mail mit zusätzlichem Code,
  • physische Lesegeräte oder Kartenleser.

Und siehe da: Es funktioniert. Und zwar barriereärmer.

Ein Blick über den Tellerrand

Andere Länder sind da oft weiter. In den Niederlanden beispielsweise läuft das Gesundheitsportal über DigiD, einem staatlichen Authentifizierungssystem, das verschiedenste Zugänge bietet. In Schweden erfolgt die Anmeldung oft über eine Art „eID“, die ebenfalls mehrere Varianten unterstützt.
Wichtigster Unterschied: Der Zugang ist nicht an eine einzige App gebunden, sondern an den Menschen.

Und genau darum geht es doch, oder?

Was wäre also die Alternative?

💡 Eine wirklich sichere und inklusive Lösung könnte so aussehen:

  • App-Login: ja, als eine von mehreren Optionen.
  • Login mit PIN und SMS-TAN: ebenfalls möglich.
  • Zugang über Desktop mit verschlüsselter E-Mail als Bestätigungscode.
  • Für Menschen mit Einschränkungen: Option auf persönliche Beratung, ggf. mit Hilfe Dritter.
  • Und: endlich echte Barrierefreiheit in der App – mit Sprachsteuerung, Kontrasteinstellungen, Screenreader-Kompatibilität etc.

Kurz gesagt:
Wer Digitalisierung will, muss Vielfalt denken. Nicht Bevormundung.

App-solut unverschämt

Es ist wunderbar, dass wir digitaler werden wollen. Wirklich!
Aber App-Zwang als einzige Lösung ist kein Fortschritt, sondern Rückschritt mit WLAN-Anschluss.

Ich wünsche mir eine digitale Welt, die inklusiv ist. Die versteht, dass nicht alle Menschen gleich ticken. Die Alternativen bietet, statt sie mit Technikschablonen zu erschlagen.
Und die erkennt:
Datenschutz und Barrierefreiheit schließen sich nicht aus – sie gehören zusammen.

Was ich dagegen tue? Ganz einfach: Ich lasse es nicht durchgehen!

Statt den Kopf zu schütteln und mich still zu ärgern, habe ich den App-Zwang offiziell zur Prüfung gegeben – und zwar gleich an mehrere Stellen:

  1. Den Datenschutzbeauftragten der IKK Südwest
  2. Den Landesdatenschutzbeauftragten Rheinland-Pfalz (LfDI RLP)
  3. Den Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit (BfDI)
  4. Der Patientenbeauftragte der Bundesregierung

Denn digitale Teilhabe ist kein Extra für Technikaffine – sondern ein Recht für alle.

Ich bin gespannt, was passiert – und halte dich hier natürlich auf dem Laufenden.

Wenn du jetzt das Gefühl hast, du bist mit deinem Frust nicht allein – dann teile diesen Beitrag.
Denn Digitalisierung betrifft uns alle.
Und sie darf niemanden ausschließen.

2 Gedanken zu „App-solut ausgeschlossen – Wenn Digitalisierung zur digitalen Ausgrenzung wird“

  1. Ich gehöre zu den Smartphonlosen und hab es längst aufgegeben, mich da noch über irgendwas zu echauffieren. Wollte schon mal die Krankenkasse wechseln, weil meine nicht mal emails liest (kommt gleich die Meldung: wurde ungelesen gelöscht) und das Briefporto für mich auch nicht immer einfach aufzubringen ist. Da bleicht eigentlich alles ungeklärt und Briefe an mich, die hier bei Nachbarn landen, finden den Weg dann auch nicht mehr bis zu mir bzw. ich erfahre erst viel später durch eine Mahnung, dasz da offenbar ein Brief gewesen sein musz.
    Aber ich sag mir: bei anderen Krankenkassen ist es auch nicht besser. – Lese ich ja hier.

    Ohne Smartphone bin ich schon vielfach ausgeschlossen, kann kaum noch im Web einkaufen, weil alle diese blöden SMS-Codes senden, die ich dann nicht kriege. Klar, es gibt einen Festnetz-Vorleseservice, aber der funktioniert z.B. bei Paypal auch nicht jeden Tag, da kommt kein Anruf (gestern erst gehabt)…und am lustigsten ist Klarna. Liest in affenartiger Geschwindigkeit in Englisch(!) sowas wie deihunderfünfundachtigtausendsiebenhundertelf, ohne Wiederholung und wer nie Englisch gelernt hat, kann das so fix niemals mitschreiben. – Warum nicht einzelne Ziffern???
    Also ich habs längst hingenommen, ist eben so. In vielen Bereichen.
    Barrierefrei ist heute nix mehr.

    Schön, wenn Du Dich darum kümmerst, hoffentlich wars nicht nur verschwendetet Zeit – !
    Liebe Grüsze
    Mascha

    Antworten
    • Liebe Mascha,

      vielen Dank fürs Teilen deiner Erlebnisse – und ja, ich finde es genauso absurd, wie leichtfertig hier Menschen ausgeschlossen werden. Dass du sogar Briefe verlierst oder mit unverständlichen Codes konfrontiert wirst, macht deutlich: Von Barrierefreiheit sind wir meilenweit entfernt.

      Ich habe meine Beschwerde inzwischen an mehrere Stellen weitergegeben und erste Antworten bekommen – die habe ich im Folgebeitrag zusammengefasst:

      https://gedankenteiler.de/ikk-app-zwang-datenschutz

      Kurz gesagt: Rechtlich ist die Kasse wohl auf der „sicheren Seite“. Für Betroffene wie uns heißt das: App nutzen oder wieder zurück in die Papierwelt. Für mich ist das alles andere als zeitgemäß – und ich werde weiter dranbleiben.

      Genau deshalb sind Stimmen wie deine so wichtig. Je mehr Menschen klar machen, dass dieser „App-oder-gar-nicht“-Weg nicht funktioniert, desto schwerer wird es, das Problem kleinzureden.

      Danke, dass du dich hier eingebracht hast – auch wenn es frustrierend ist. 💜 Gemeinsam können wir dafür sorgen, dass das Thema nicht unter den Tisch fällt.

      Herzliche Grüße
      Roswitha

      Antworten

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