Eine ECHTE Superheldin

Caroline wirft, in ihrer aktuellen Blogparade, eine wichtige Frage in den Raum:

„Starke Frauen – ist das nicht so eine pseudo-feministische Phrase? Als wären nicht alle Menschen stark oder als müssten Frauen besonders stark sein?“

Carolin Weise

Ich kann Carolin nur zustimmen. JEDE von uns ist eine »Superfrau« und hat ihre ganz eigenen Stärken. Leider wird diese oft nicht gesehen, sondern (besonders von Männern) als selbstverständlich hingenommen.

(M)eine Superheldin

Starke Frauen müssen nicht immer Heldinnen der Geschichte sein, etwas erfunden, sich politisch engagiert oder sonst wie die Welt verändert haben. Selbst die berühmten Frauen waren Mutter, Schwester, Ehefrau und vor allen sie selbst. Damit haben sie die Welt in jedem Fall verändert: für ihre Liebsten. Ich erinnere mich, dass ich früher ein Freundschaftsbuch einer Klassenkameradin bekam, in dem ich angeben sollte, wer mein Lieblingssuperheld ist. Ich schrieb »Mami« – und wurde dafür ausgelacht. Das ist ja wohl keine Superheldin, sondern „einfach nur“ meine Mutter. Für mich war sie damals schon viel mehr, nämlich ein großes Vorbild. Damals habe ich immer gesagt, dass ich später einmal so sein möchte wie sie. – Dabei kann ich, besonders rückblickend, nicht sagen, dass sie (bei meiner Erziehung) alles richtig gemacht hat. Teilweise ist sogar eher das Gegenteil der Fall. Trotzdem bewundere ich sie.

Die Heldinnenreise

Als älteste Tochter von Eltern mit Haus und Hof musste sie bereits früh mit anpacken. Ob im Haushalt, bei der Versorgung der Tiere oder später beim Hüten der jüngeren Geschwister. Freizeit blieb da kaum. Der Vater sehr konservativ und streng. Widerworte nicht geduldet. Die Mutter zwar mit weichem Herz und viel Liebe, aber nicht fähig sich gegen den Mann zu behaupten. (Wie in der damaligen Zeit üblich.)

Ein Kampf für die Liebe

Das Mädchen wuchs zu einer jungen Frau heran, verliebte sich und wollte heiraten. – Doch ihr Geliebter war dem Vater ein Dorn im Auge, denn er sah es überhaupt nicht ein, seinem zukünftigen Schwiegervater recht zu geben, wenn dieser um Unrecht war. Auch die Weltanschauungen unterschieden sich stark. So war es wohl nicht verwunderlich, dass mein Opa die Zustimmung verweigerte. – Zur damaligen Zeit konnte eine Heirat ohne diese nicht durchgeführt werden. Meine Mutter kämpfte für die Liebe – und zog vor Gericht! Gegen ihren eigenen Vater! Der Prozess zog sich hin und ehe eine Entscheidung getroffen war, war sie nicht nur alt genug selbst zu entscheiden, sondern es gab auch eine Änderung der Rechtsprechung. Mit Nichts finden meine Eltern ihr eigenes Leben an. – Und das ist wörtlich gemeint, denn die beiden hatten nichts weiter, als zwei Bettdecken und zwei Kopfkissen, die meine Oma ihnen (heimlich) gegeben hatte.

Neuanfang

Allen Widrigkeiten zum Trotz kämpften sich das Paar in ein anstrengendes, aber auch schönes, weil freies, Leben. Meine Mutter hatte, bevor sie meinen Vater kennenlernte, bereits einen Sohn. (Unehelich, was damals auch eine Schande war. Mein Halbbruder sollte erst später den Weg zu ihr zurückfinden.) Mein Papa wünschte sich eine Tochter, doch alle Versuche scheiterten. Ein Arzt brachte dann die ️ Hiobsbotschaft, dass meine Mutter nicht schwanger werden könne. Die beiden stellten einen Adoptionsantrag. Jahre vergingen – und das Unmögliche passierte: Die Frau wurde schwanger – mit mir.

Roswitha als Baby, in den Armen gehalten von ihrer Mutter.
Ich war schon immer für eine Überraschung gut, z. B. als es hieß meine Mutter könnte nicht (mehr) schwanger werden. – Ich habe das Gegenteil bewiesen! 🤓

Da der Mann einem Beruf nachging, bei dem er teilweise sein Leben riskierte, bat meine Mutter ihn, um nicht alleine mit mir dazustehen, sich etwas anderes zu suchen. So machte mein Vater eine Umschulung, doch für eine Arbeitsstelle musste er umziehen. So ging es weg von Familie, Freunden und vertrauter Umgebung. Neue Wohnung, neuer Job, von der Kleinstadt aufs Dorf. (Wer schon mal selbst in ein Dorf gezogen ist, in dem man keine Verwandte hat, weiß, wie schwer es ist, dort akzeptiert zu werden.)

Familenbande

Die Jahre vergingen. Dann wurde plötzlich meine Omi krank. Obwohl andere Kinder dichter wohnten und mehr Platz hatten, waren es meine Eltern, die sich dazu entschlossen sie zu uns zu holen. Meine Mutter pflegte die Mutter ihres Mannes etwa zwei Jahre, ehe sie verstarb. – Zwei Jahre in denen sie immer wieder Nachts aus dem Bett geklingelt wurde und gleichzeitig „funktionierte“: als Hausfrau, Ehefrau, Mutter – und hatte noch zwei Putzstellen … (Da wir keinen Platz hatten, bekam meine Omi mein Kinderzimmer und ich schlief bei meinen Eltern. So hatten weder sie noch ich einen Rückzugsort. Eine harte Zeit …)

Der härteste Kampf beginnt

Doch es sollte noch viel härter werden: Mein Vater klagte über starke Kopfschmerzen und, da er nie mehr als eine leichte Erkältung hatte, machte sich meine Mutter große Sorgen. Zu Recht: die Ärzte fanden zwei Tumore im Kleinhirn. Krebs! Eine Zeit voller Arztbesuche, Klinkaufenthalten, Chemotherapie und zwischen Hoffen und Bangen begann. – Auch hier kümmerte sich meine Mutter „nebenbei“ noch um den Haushalt und um uns. Ohne zu meckern oder aufzugeben. Als es meinem Papa besser ging, schöpften wir alle neue Hoffnung und meine Mutter neue Kraft. – Nur um festzustellen, dass sie vergeblich war. Ihrem Mann ging es zunehmend schlechter. Er konnte nicht mehr alleine auf die Toilette, er spukte Blut, … Sie musste dabei zusehen, wie ihre große Liebe litt und konnte nichts dagegen tun. Eines Tages schlief er, mit einem Lächeln auf dem Gesicht ein und sollte nie wieder erwachen. – Auf dem Sofa im heimischen Wohnzimmer.

Ein Trauerkranz mit Gedenkschleife: "In lieben Gedenken. Deine Frau Marita mit Gerhard und Roswitha"
Am Grab eines geliebten Menschen zu stehen, hat etwas Endliches. Es macht bewusst, wie wenig Zeit man wirklich miteinander verbracht hat – und dass es nun zu spät dafür ist …

Meine Mutter rutschte etwas ab, was wohl mehr als verständlich ist. Mein Halbbruder (der sich mit meinem Vater nie verstanden hatte, geschweige denn je etwas im Haushalt getan hatte), war keine große Hilfe. Ich, mit meinem damals 15 Jahren, war mit der Situation überfordert. Irgendwie hielten wir alles am Laufen. Meine Mutter schaltete irgendwann tagsüber in den „Funktionsmodus“ und rutschte abends in eine tiefe Trauer. Irgendwann kam sie zu dem Entschluss, dass sie wegmüsse, raus aus dem Haus, weg von all den Erinnerungen. Sie entsorgte fast alles, was irgendwie mit (zu starken) Erinnerungen behangen war. Selbst Fotos. (Was ich bis heute sehr bereue.) Wir zogen in die Nachbarstadt und fingen von vorne an …

Herz gegen Verstand

Endlich schien alles gut zu laufen. Der festen Überzeugung, dass meine Mutter wieder soziale Kontakte und vor allen Dingen ein wenig Liebe braucht, gab ich (heimlich) eine Kontaktanzeige für sie auf. Tatsächlich lernte sie jemanden kennen, für den sie Gefühle entwickelte. Doch bald trennte sich dieser Mann von ihr. Der Grund: Bei einer Untersuchung wurde festgestellt, dass er Krebs hat. Er wusste um die Vergangenheit und wollte ihr all das nicht noch einmal antun. Obwohl sie es verstand, war meine Mutter sehr traurig. Es dauerte einige Zeit, bis sie sich wieder fing.

Nachdem etwas Zeit vergangen war, lernte sie einen neuen Mann kennen. Später sollte dieser mein Stiefvater werden. – Meinem Vater musste sie damals versprechen, wieder glücklich zu werden. Genau das versuchte sie. – Es begann eine schöne Zeit, voller Zuneigung, kleinen Unternehmungen und Reisen. Aber irgendetwas stimmte nicht, denn der Mann an ihrer Seite litt unter starken Schmerzen. Bald schon benötigte er ein künstliches Hüftgelenk, denn die frühere Arbeit hatte Spuren hinterlassen. Nicht alles verheilte so wie es sein sollte. Starke Schmerzen, ein versteiftes Bein und unzählige weitere Arztbesuche und Klinikaufenthalte folgten.

Während dieser Jahre verstarben mein Opa und meine Oma. Da es am Tag der Beerdigung zu Glatteis kam und es schon fast unmöglich war, auch nur einen Fuß vor die Tür zu setzen, ohne hinzufallen, konnte meine Mutter nicht an der Beerdigung ihrer eigenen Mutter teilnehmen. Die lange Fahrt wäre zu gefährlich gewesen. (Später hagelte es lange Zeit Vorwürfe dafür von ihren Schwagern.)

Damit abgefunden, dass ihr neuer Mann nun (ebenfalls) pflegebedürftig ist und wirkliche Freizeitaktivitäten, besonders keine Reisen, mehr möglich waren, lebte meine Mutter ihr Leben. Mit Spaß und Freude arbeite sie in einem benachbarten Kindergarten, wo sie immer wieder einsprang, wenn eine Kollegin krank war. Und auch mal außer der Reihe Aufgaben übernahm – und nachreichende Veränderungen anstieß. Als meine Mutter z. B. bemerkte, dass einige Kinder nur Süßigkeiten zum Frühstück dabei hatten und andere gar nichts, stolzierte sie schnurstracks zur Kindergartenleitung. Sie hatte zuvor alles durchgerechnet und schon bald war ein gemeinsames, verpflichtendes, Frühstück geboren. Für einen minimalen Betrag bekamen die Kinder eine gesunde Mahlzeit. (Kinder von sozial schwächeren Familien konnten für einen rabattierten Betrag mitgetragen werden, denn meine Mutter hatte mit lokalen Einzelhändlern verhandelt und der Kindergarten bekam von da an Rabatt. Wieso vorher niemand auf die Idee kam? Niemand weiß es.)

Verflucht (?)

Alles lief. Wir Kinder waren längst aus dem Haus und hatten unseres eigenes Leben. Meine Mutter bereitete ihre Arbeit – und besonders der Umgang mit den Kindern – große Freude. In der Freizeit kümmerte sie sich um den Garten. Sie und mein Stiefvater lebten kein spannendes, aber ein zufriedenes Leben. Doch dann kam eine Botschaft, mit der niemand gerechnet hatte: Bei einer Routineuntersuchung wurde festgestellt, dass mein Stiefvater einen Tumor hat … – Krebs. Schon wieder! Zwar konnte die Krankheit mit Medikamenten behandelt und der Tumor entfernt werden, aber der Schatten blieb, denn ein Tumor kann wiederkommen …

Der Tumor kam nicht wieder und die Jahre zogen dahin. Im letzten Jahr ging es meinem Stiefvater nicht so gut. Er hatte sich erkältet. Vor dem Mittag wollte er sich noch kurz ausruhen und ein kleines Schläfchen machen. Gesagt, getan. Doch was niemand ahnte: Er würde nie wieder erwachen! Als meine Mutter ihren Mann wecken wollte, bemerkte sie, dass er nicht mehr atmete. Sie rief den Rettungsdienst und führte, nach Anweisungen des Mannes am Telefon, Wiederbelebungsmaßnahmen durch. Doch leider kam jede Hilfe zu spät. Eine Obduktion ergab später, dass mein Stiefvater an einer Schlafapnoe gestorben ist. Er hat einfach aufgehört zu atmen …

Gegenwart

Und heute? Meine Mutter ist inzwischen 70 Jahre alt und steht noch immer mit beiden Beinen im Leben. Nach dem Tod meines Stiefvaters hatte ich sie gefragt, ob sie vielleicht zu uns kommen möchte. (Nicht zu uns ins Haus, sondern in den Ort, damit sie näher ist. Wir wohnen ca. 300 km entfernt.) Sie verneinte. Sie wolle nicht umziehen, dies Mal nicht. Sie könne und wolle nicht schon wieder von vorne anfangen. Inzwischen ist mein Halbbruder zu ihr gezogen und die beiden teilen sich die Wohnung. (Was ich persönlich immer noch für einen riesigen Fehler halte. Aber letztlich muss sie es ja wissen.) Meine Mutter ist inzwischen in Rente, kümmert sich um den kompletten Haushalt, sowie das Kochen. Nach und nach ist sie dabei, sich von Dingen zu verabschieden, die ihrem letzten Mann gehörten. Doch es wird wohl noch lange dauern, bis sie den Trauerprozess abgeschlossen hat – und so lange „funktioniert“ sie einfach.

Zwei Frauen (Mutter und Tochter) stehen nebeneinander vor einem Wald.
Eine echte Superheldin mit ihrem vermutlich größten Fan. 🦸‍♀️

1 Gedanke zu „Eine ECHTE Superheldin“

  1. Liebe Roswitha,
    was für ein liebevoller Beitrag über (d)eine Superheldin! Ich hatte an vielen Stellen Tränen in den Augen. Und was für eine tolle Überraschung, dass du geboren wurdest!
    Herzliche Grüße, auch an deine Mama,
    Carolin

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