~ Vorgeplänkel ~
Ich wohne mit einem Mörder unter einem Dach!!! Nein, das ist KEIN Scherz, sondern sogar bewiesen! Glücklicherweise handelt es sich nur um einen literarischen Mörder! 🙂
Jetzt werdet ihr denken: „Achso, sie hat ein neues Buch.“ Ja! Aber der Mörder ist echt. Aus Fleisch, Blut, Kaffee und Nikotin. Es handelt sich dabei um meinen Mitbewohner und sehr guten Freund – und ich bin schuld! Anfang des Jahres schrieb Martin Krist ein Gewinnspiel aus. Es galt sich für eine Rolle in seinem neuen Thriller zu bewerben. Wer mitmachte hatte die Wahl als Opfer, Mörder oder Ermittler. Ich bewarb mich (übrigens als Opfer) und schickte den Link an zwei Personen: Eine Freundin und eben Miguel. Womit wir nicht wirklich rechneten: Einer von uns gewann. Nämlich Miguel. Er hatte sich – ausgerechnet – als Mörder beworben und schlachtet nun munter in Drecksspiel umher. Nein, ich bin nicht neidisch. Ich gönne es ihm und freue mich riesig für ihn. (Und für mich! Denn wer kann schon sagen, dass er WIRKLICH mit einer Romanfigur zusammen wohnt? :D)
Ein Link zum Interview findet ihr am Ende der Rezession. 😉
~ Das Buch ~
Martin Krist
Drecksspiel
Verlag: Ullstein
Erscheinungsjahr: 2013
Seiten: 320
ISBN: 978-3548285375
Preis: 9,99 €
~ Klappentext ~
Schlüssel rasseln an der Tür. »Ich hab mich hübsch gemacht«, wispert Hannah, während ihr Mann Philip hinter ihr den Raum durchquert. Seine Hand streift ihren Nacken. Sie neigt den Kopf und … sieht Handschuhe voller Blut. Finger schließen sich um ihre Kehle. Als sie wieder zu sich kommt, ist sie an einen Stuhl gefesselt. Vor ihr ein fremder Mann. Nur ein Gedanke peinigt sie in diesem Moment: Er darf Millie nicht finden! – Hannahs Tochter schläft im Zimmer nebenan. Seit der Expolizist David Gross vor Jahren untertauchen musste, arbeitet er als diskreter Problemlöser. Diesmal ist es ein grauenvoller Entführungsfall …
~ Eindrücke / Meinung ~
Leyla, eine Prostituierte, wird tot aufgefunden.
Toni hat ein Problem, denn es sind seine Fingerabdrücke die sich am Tatort befinden. Er war der Geliebte, der Freund der Verstorbenen und er ist Polizist. Bis zum nächsten Tag braucht er eine verdammt gute Erklärung, denn er hat nicht vor seinen Kollegen davon zu erzählen. Alle Indizien sprechen gegen ihn. So wie der Fall liegt werden seine Kollegen davon ausgehen, dass er den Mord begangen hat. Das Gegenteil würde ihm vermutlich keiner glauben, denn am Abend hat er sich mit Leyla auch noch gestritten. Fingerabdrücke und Spermaspuren sind überall von ihm. Er hat nur eine einzige Möglichkeit seine Unschuld zu beweisen: Er muss den richtigen Mörder zu finden.
So einfach ist das aber leider auch Polizist nicht. Toni gerät immer weiter in einen Strudel aus Verrat und Gefahren. Es dauert gar nicht lange und auch sein Leben ist in großer Gefahr.
Die Geschichte an sich ist nicht neu: ein Verdächtiger der seine eigenen Nachforschungen anstellt und dabei selbst in (noch größere) Gefahr gerät. Das es sich hierbei um einen Polizisten handelt gibt dem ganzen eine gewisse Spannung. Diese Umsetzung ist sehr gut gelungen.
Es hätte auch jemand andren treffen können, aber um es mit einem Zitat aus dem Buch zu sagen:
„… Toni war einfach nur zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort … und mit der falschen Frau zusammen gewesen.“
Zwar war die Verstorbene Prostituierte, doch auch so kommt der Sex in diesem Roman nicht zu kurz. Nicht immer ist es verblümt, sondern oft umgangssprachlich oder vulgär. Ich fand es jetzt nicht allzu schlimm, aber so auf Dauer nervte es doch ein wenig.
„Zweifelnd musterte sie seinen Schwanz, der jetzt nur noch schlaff und ebenfalls rot verschmiert aus seinem Hosenschlitz baumelte.“
„Er vergrub die Hand zwischen seinen Beinen, rieb sie vulgär im Schritt, bevor er seine Finger unter Hannahs Nase hielt.“
Neben der Suche nach dem Mörder gibt es aber noch einen zweiten Handlungsfaden. Toni hat nämlich einen Sohn. Leider liegt dieser im Krankenhaus und die Ärzte geben ihm Mitschuld an seinem Zustand. Mir tat Toni irgendwie leid. Wirklich willkommen scheint er nirgends zu sein und jeder gibt ihm die Schuld an irgendetwas. Nicht genug, dass er einen Mörder jagt, auch droht er seine Familie zu verlieren, ehe er sie für sich gewonnen hat.
„Der Junge litt unter dem rätselhaften Verschwinden seines Vaters und der Verzweiflung seiner Mutter. Jands seelische Konflikte manifestierten sich auf der körperlichen Ebene, so zumindest hatten es die Ärzte Caro erklärt. Erst als seine Beine und Gesichtsnerven unter wiederholten Lähmungserscheinungen litten, wurde die Poliomyelitis erkannt – aber da war es zu spät.“
Ohne Mörder auch kein Mord oder doch? Wer weiß… 😉
Der Mörder der hier am Werk ist, ist mehr als das. Er ist brutal, ein Schlächter. Er wird so tiefgründig beschrieben, dass man es als Leser schon mit der Angst zu tun bekommen kann. Ich liebe ja bildlich Beschreibungen, auch bei so grauenvollen Dingen. (Steckt nicht in jedem von uns ein kleiner Psycho? ;)) Zartgemüteten Gesellen rate ich daher vom lesen ab, denn wer nichts vom ausweiden eines Menschen und dessen Gedärmen lesen kann, würde vermutlich einen Eimer benötigen. Ich finde es stärkt den Gänsehautfaktor!
„Noch schlimmer … der Bauch … aufgeschlitzt und ausgeweidet … die Innereien wie bei einem Schlachtvieh herausgerissen und achtlos neben das Bett geworfen …“
Schon an diesen Beispielen merkt man das die Charaktere sehr gut ausgearbeitet sind. Mit jeder Seite lernt der Leser die Personen besser kennen und entwickelt Sympathie oder Antipathie. Ich finde dieses sehr wichtig. So kann ich mich besser in den Roman hineinversetzen.
~°~ Erwischt!? 😉 ~°~
Meine Stammleser wissen es ja bereits: Ich kann nicht anders, Ungereimtheiten & Co. Springen mich förmlich an und ich werde sie einfach nicht wieder los! So ging es mir auch bei Drecksspiel. Es folgen meine Gedankengänge:
„Hannah lehnte sich entspannt im Sitz zurück, den Zeigefinger der einen Hand nach wie vor zwischen Millies Lippen, die andere Hand wieder um Philips Finger geschlungen.“
Wir wissen das Millie sich in einer Babyschale befindet. Philip sitzt am Steuer. Wenn Hannah also auf dem Beifahrersitz Platz genommen hat, muss sie sich ziemlich verdrehen, weil Millie dann hinten sein muss. Sitzt Hannah mit Millie hinten, muss es für Phillip sehr unbequem sein …
Tatsächlich ging mir dieses Szenario einfach nicht mehr aus dem Kopf.
„Er fischte ein Geldbündel hervor. 25 Scheine à 100 Euro. … Wie von selbst nahmen seine Hände zwei Dosen Gin Tonic aus dem Kühlregal. … Arthur schenkte ihnen keine Beachtung, klatschte 150 Euro auf den Tresen.“
Arthur zahlt zwei Gin Tonics mit 150,- €. Okay, er kauft die an einer Tankstelle, aber ich bezweifle das sie so teuer sind. Wechselgeld bekommt er wieder (wenn auch zu wenig), doch wird hier ja erwähnt das er 100 Euro-Scheine hat. Wo kommt dann der 50er her? Nehmen wir einmal an, dass sich der noch in der Geldbörse befand, wieso gibt Arthur dann nicht nur diesen hin?
„Im Schlafzimmer wollte sie sich von ihrem besudelten Slip befreien. Vergiss es, das kostet zuviel Zeit! Stattdessen glitt sie sofort in die Shorts. … Sie steckte ihre Füße in die Flipflops. … Auf dem Nachttisch entdeckte sie ihr Handy. Sie griff danach und klickte sich zum Adressbuch durch.“
Hannah will fliehen. Sie merkt selbst, dass es zu viel Zeit kosten würde, sich erst einen anderen Slip anzuziehen. Dennoch zieht sie sich erst noch eine Hose, ein Tshirt und dann auch noch Flipflops an. Auch das kostet alles Zeit. Zeit in der der Täter wieder auftauchen kann. Ich kann ja verstehen, dass sie sich hilflos fühlt und etwas überziehen will. Aber hätte da nicht ein Shirt gereicht, um die obere Blöße zu bedecken? Und dann ausgerechnet Flipflops! Ich kann mir kein unpassenderes Fluchtschuhwerk vorstellen! In Flipflops kann man ja so schon nicht wirklich laufen, da diese sich nicht fest am Fuß befinden. Wie soll Hannah darin fliehen? Die Gefahr dabei zu stürzen ist dabei sehr groß.
Fairerweise muss dazu gesagt werden, dass einige Seiten später darauf hingewiesen wird, dass Hannah es besser findet mit Flipflops zu laufen, als ohne Schuhe auf „spitze Äste und Dornen“ zu treten. Dennoch: Ich bin der festen Überzeugung das sie zu Fuß schneller vorankommen würde…
Das zweite in dieser Situation ist natürlich das Handy. Hannah blättert sich erst zum Adressbuch durch. Schneller wäre es hier sicher, 110 zu wählen, vielleicht schnell zu sagen: „Geiselnahme. Adresse.“ Selbst wenn sie nicht mehr dazu gekommen wäre, die Adresse durchzugeben, wäre der Anruf erfasst worden und die Rufnummer geortet. Alternativ wäre es vielleicht auch ratsam gewesen MIT dem Handy zu fliehen. Alleine schon um Zeit zu sparen. (Natürlich sollte man es dann auf lautlos stellen, damit ein evtl. ankommender Anruf einen nicht durch das Klingeln verrät.)
~°~ Ups! ~°~
Manchmal hat man das Gefühl, wenn man etwas liest oder sieht, dass man es irgendwo schon einmal gesehen bzw. gehört hat. Genauso ging es mir auch bei diesem Roman.
Zum einen bei der Art, wie der der Mörder handelte. Diese Art, die Opfer aufzuschlitzen und auszuweiden. (Ich gestehe, ich mag diese psychopathischen Vorgehensweisen^^.) Zum anderen wurden immer wieder, wie zufällig, Lieder gespielt. Ob im Restaurant, im Radio oder aus dem MP3-Player. Zufällig passte der Liedtext immer zur jeweiligen Situation oder zu den Gedankengängen des Charakters.
Schließlich fiel es mir ein: Das Lieder den Charakter so begleiten, kenne ich aus der Wächter-Reihe von Sergej Lukianenkos und die Weise, wie die Opfer zugerichtet werden hatte ich erst in „Schnitt“ von Marc Raabe gelesen …
Um das gleich vorweg zu nehmen: Ich sage NICHT das Martin Krist hier abgeschrieben hat! Das kann alles Zufall sein. Oft schnappt man irgendwas aus, speichert dies im Gedächtnis und ruft es später mal wieder ab ohne zu wissen woher es kommt. – Und ich liebe die eben von mir genannten Bücher. Da wäre es dann wenigstens von den Besten. 😉
~°~ Schreibstil ~°~
Insgesamt lässt sich der Roman flüssig lesen. Leider ist dieses nicht immer gut, denn hier wird viel Slang benutzt. Etwa wie man ihn aus Actionfilmen kennt. Alles ist sehr überzeichnet und Klischeehaft.
ABER: Ein ganz großes Lob für die vielen Facetten die der Autor hier in einem Werk unterbringt. Hier ein kleiner Einblick:
Authentisch.
„Toni stieß sein Döner mit einer Knoblauchwolke auf.“
Bildlich.
„Vor einer Ampel stauten sich die Autos. Ein junges Pärchen überquerte streitend die Straße. Ein Penner schob einen Einkaufswagen voll klirrender Pfandflaschen vor sich her.“
Ekelhaft.
„Schleim troff aus ihren Nasenlöchern. Sie zog den Schnodder hoch, schmeckte ihn auf der Zunge, schluckte ihn angewiedert hinuter.“
Markendominant.
Wie auch schon bei „Mädchenwiese“, fiel mir auch hier wieder eine enorme Benutzung von Markennamen auf. Diesmal waren es allerdings keine Marlboro, die den Weg von irgendjemanden pflasterten. (Der Autor hat hier sogar mehrere Zigarettenmarken im ausgeglichenem Verhältnis verwendet.) Hier war es Maglite®. Aber auch Taschenlampe wurde verwendet. Das Verhältnis steht im gesamten Roman 9 zu 5 für Maglite®. (Jaaa…. Ich habe gezählt. ;))
~°~ Fazit ~°~
Am Gesamtfazit tue ich mich offengestanden sehr schwer. Einerseits ist der Schreibstil doch sehr auf einem unterem Niveau und auch der Handlung fehlt der spannende Kick. Ab und an sind Dinge voraussehbar oder erscheinen unlogisch. Auch die Idee ist schlichtweg nicht neu. Dennoch ist Drecksspiel sehr facettenreich, eben grade was die verwendete Sprache angeht. Auch liebe ich diese (grausamen) bildlichen Beschreibungen. Die Logikfehler legen dem ganzen aber einen dunklen Schleier über, denn wenn dieses denken („Häh? Aber..“) trübt leider ein wenig die Lesefreude. Auch bei der Bewertung schwanke ich.
Wer einen spannenden Roman mit literarischem Anspruch sucht, sollte hier die Finger von lassen. Allen die etwas wie einen leichten Krimi mit bildlichen Beschreibungen suchen, kann ich Drecksspiel jedoch sehr empfehlen.
~°~ Link ~°~
Für alle die neugierig geworden sind:
Wie versprochen, hier der Link zum Mörder:
http://www.martin-krist.de/interview_milan.html
🙂