Olo – die neue Farbe, die Forscher sichtbar machten

Wenn Wissenschaft wie Zauberei wirkt

Es klingt fast wie ein Märchen:
Ein Forschungsteam der University of California in Berkeley hat im Frühjahr 2025 eine Farbe entdeckt, die es in der Natur gar nicht gibt. Eine Farbe, die jenseits unseres sichtbaren Spektrums liegt. Veröffentlicht wurde diese Sensation in der Fachzeitschrift Science Advances unter dem Titel Direct control of photoreceptor activity for display of novel colors.

Als ich das las, musste ich sofort an den Zauberer von Oz denken. Dort führt ein Sturm in eine Welt voller ungeahnter Farben. Und genau das scheint jetzt Realität geworden zu sein. Die Forschenden nennen ihr Prinzip Oz – und die neu entstandene Farbe Olo. Schon die Namen klingen, als hätten sie Magie in der Hand.

Wie Farben im Auge entstehen

Um zu verstehen, warum Olo so besonders ist, müssen wir einen Blick auf das werfen, was in unseren Augen passiert.
Unsere Netzhaut besteht aus winzigen Sinneszellen, den sogenannten Zapfen, die Licht unterschiedlicher Wellenlängen wahrnehmen. Es gibt drei Typen:

  • L-Zapfen reagieren auf langwelliges Licht (Rot).
  • M-Zapfen auf mittlere Wellenlängen (Grün).
  • S-Zapfen auf kurze Wellenlängen (Blau).

Alles, was wir sehen, ist ein Zusammenspiel dieser drei Signale. Wenn Licht auf die Netzhaut fällt, reagiert nie nur ein Zapfentyp allein. Es entstehen Mischungen, und unser Gehirn bastelt daraus das, was wir als Farbe empfinden.

Diese Funktionsweise hat Grenzen. Es gibt keine natürliche Situation, in der nur ein Zapfentyp aktiviert wird. Das menschliche Sehen ist auf Kombinationen programmiert – und dadurch auf einen endlichen Farbraum beschränkt.

Bis jetzt.

Das Prinzip Oz

Die Forschenden in Berkeley entwickelten ein optisches System, das sie Oz tauften. Der Name ist kein Zufall, denn was sie damit schafften, gleicht einer Reise hinter den Regenbogen.
Ihr Prototyp nutzt adaptive Laseroptik, um einzelne Photorezeptoren direkt anzusteuern – also die Zapfen selbst.

Stell dir das so vor: Ein winziger Laser trifft exakt jene Zellen, die für Grün zuständig sind, während die anderen still bleiben. Das System korrigiert dabei ununterbrochen mikroskopische Augenbewegungen. So werden bis zu hunderttausend Lichtimpulse pro Sekunde gezielt auf die Netzhaut geschickt.

Das Ergebnis: Die Forschenden konnten nur die M-Zapfen aktivieren, ohne L- oder S-Zapfen mitzuerregen.
Und genau in diesem Moment entstand etwas, das es vorher nicht gab.

Was Versuchspersonen wirklich sahen

Die Testpersonen beschrieben, was sie sahen, als „ein intensives Blaugrün, das man nicht vergleichen kann“. Kein Monitor, kein Druck, keine bekannte Farbtafel konnte diese Farbe nachbilden.
Das Team nannte sie Olo – ein Farbton jenseits des menschlichen Farbspektrums.

Um die Wahrnehmung zu überprüfen, führten sie Farbabgleichexperimente durch. Die Teilnehmenden sollten Olo mit den gesättigtsten Farben vergleichen, die Projektoren erzeugen konnten. Dabei stellten sie fest: Nur wenn sie Weißlicht hinzufügten, ließ sich überhaupt eine annähernde Übereinstimmung herstellen.

Als die Forschenden absichtlich kleine Abweichungen einbauten – sodass der Laser nicht exakt auf den Zielzapfen traf –, verschwand der Effekt.
Das Licht wurde wieder normales Grün.
Das war der Beweis: Olo ist keine optische Täuschung, sondern das Ergebnis gezielter, kontrollierter Zellstimulation.

Warum Olo auf keinem Bildschirm funktioniert

Wir alle kennen die Farbräume von Displays: RGB (Rot, Grün, Blau). Aus diesen drei Grundfarben entsteht alles, was unsere Bildschirme darstellen können. Doch Olo folgt anderen Regeln.

Statt Wellenlängen zu mischen, basiert Olo auf einem räumlichen Aktivierungsmuster der Netzhaut. Das Team nennt das „räumliche Metamerie“. Es bedeutet, dass nicht die Farbe des Lichts selbst entscheidend ist, sondern welche Zapfen an welcher Stelle aktiviert werden.

Das lässt sich mit herkömmlicher Technik nicht nachbilden.
Ein Bildschirm kann nur Licht abstrahlen – er kann keine einzelnen Sehzellen deines Auges ansprechen.
Deshalb wirst du Olo niemals auf einem Display sehen, und kein Drucker der Welt kann sie drucken.
Olo existiert nur in deinem Gehirn, wenn deine Photorezeptoren auf eine Weise stimuliert werden, die die Natur nie vorgesehen hat.

Der Zauber hinter der Wissenschaft

Das klingt fast nach Science-Fiction, ist aber feinste Optik.
Das Forschungsteam kombinierte Laser-Mikrodosen, adaptive Optik und Eye-Tracking in nie dagewesener Präzision. Das System kann in Echtzeit auf die Bewegung des Auges reagieren und den Laser so steuern, dass jeder Lichtimpuls punktgenau landet.

Das ist, als würde jemand winzige Farbkleckse auf deine Netzhaut malen, während du blinzelst – und jeder Klecks landet perfekt.

Im Artikel in Science Advances schreiben die Autorinnen und Autoren:

„Unser Oz-Prototyp ist ein Machbarkeitsnachweis für die programmierbare Steuerung einzelner Photorezeptoren im Populationsmaßstab.“

Das klingt trocken, bedeutet aber: Wir haben das Sehen selbst in den Griff bekommen.

Was Olo über uns verrät

Diese Entdeckung ist mehr als ein technischer Fortschritt.
Sie ist ein Beweis dafür, dass Farbe kein physikalisches, sondern ein psychologisches Phänomen ist.
Denn Olo existiert nicht im Licht – sie entsteht nur in der Wahrnehmung.

Das stellt die Frage: Wenn unsere Sinne manipulierbar sind, wie real ist dann unsere Realität?
Oder anders gefragt: Gibt es vielleicht noch viele andere „Farben“, die wir nur nicht sehen, weil unser Gehirn sie nicht kennt?

Vielleicht ist Olo ein Fingerzeig darauf, dass Wahrnehmung lernbar ist. Dass wir Dinge sehen könnten, die uns heute unmöglich erscheinen – wenn wir die richtigen Werkzeuge hätten.

Von Maxwell bis Oz

Bereits im 19. Jahrhundert bewies der Physiker James Clerk Maxwell, dass sich nahezu alle sichtbaren Farben aus Rot, Grün und Blau zusammensetzen lassen. Seine Experimente legten den Grundstein für Farbfotografie und Monitore.

Doch das Oz-Team zeigt nun, dass diese Grundlage nicht das Ende ist.
Statt spektraler Metamerie – also Mischungen von Wellenlängen – arbeitet Oz mit räumlicher Metamerie. Das heißt: Nicht das Licht selbst, sondern das Muster seiner Verteilung erzeugt die Farbe.

So wird ein Laser mit einer einzigen Wellenlänge zu einem Malwerkzeug für unendlich viele neue Farbtöne.
Damit verschiebt sich die Grenze unseres Farbraums – und vielleicht auch unserer Vorstellungskraft.

Farben jenseits des Möglichen

Natürlich steckt die Technik noch in den Kinderschuhen. Die Versuche fanden mit fixierten Blickpunkten und minimalem Sichtfeld statt. Doch die Richtung ist klar: Das Verständnis des menschlichen Sehens steht vor einem Umbruch.

In Zukunft könnten solche Verfahren helfen, Farbsinnstörungen zu erforschen oder sogar zu korrigieren. Vielleicht wird es eines Tages möglich, Menschen mit Rot-Grün-Schwäche zu zeigen, was sie bisher verpasst haben.

Für Kreative ist Olo vor allem Inspiration.
Wenn eine neue Farbe existiert, die kein Mensch je gesehen hat, zeigt das: Unsere Grenzen sind dehnbar.
Was heute unmöglich scheint, kann morgen real sein – oder wenigstens vorstellbar.

Forschung trifft Fantasie

Zwischen den Zeilen dieser Studie steckt Staunen.
Die Forschenden selbst schreiben, dass sie eine „beispiellose Sättigung“ wahrnahmen.
Olo ist also nicht nur eine Farbe, sondern ein Erlebnis.

Vielleicht erklärt das, warum mich diese Entdeckung so berührt.
Denn sie erinnert daran, dass Wissenschaft und Kunst gar nicht so weit voneinander entfernt sind.
Beide beginnen mit einer Frage: Was wäre, wenn?
Und beide enden selten dort, wo sie angefangen haben.

Die Welt muss bunter werden

Am Ende bleibt mehr als nur ein technisches Ergebnis.
Oz und Olo zeigen, dass „bunter werden“ kein bloßes Motto ist, sondern eine Haltung.
Farbe steht für Wandel, Neugier, Mut und Offenheit.

Wir können Olo nicht drucken, nicht fotografieren, nicht teilen.
Aber wir können sie denken.
Und allein das macht die Welt ein bisschen bunter.

Vielleicht ist genau das die Magie hinter der Forschung:
Nicht, dass sie Antworten liefert – sondern dass sie Fragen weckt.
Und wenn ich eines mitnehme aus dieser Reise nach Oz, dann das:

Die Welt muss bunter werden.

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