Es war 6:26 Uhr.
Der Tag hatte noch nicht einmal richtig begonnen, und doch hatte er mir schon die Stirn geboten. Wortwörtlich – mit einem stechenden, pochenden, migränegeplagten Schädel. Wer Migräne kennt, weiß: Es gibt Tage, da will man einfach nur die Decke über den Kopf ziehen und verschwinden. Heute war einer dieser Tage. Und er sollte völlig anders verlaufen als gedacht.
Denn heute kam Nox.
Ein Flügelschlag zwischen den Welten
Ich entdeckte sie zufällig.
Eine junge Fledermaus, klammerte sich von außen an unser Insektenschutzgitter – im ersten Stock.
Regen prasselte auf die Welt. Es war kühl, trüb, und sie hing dort wie ein winziger Schatten zwischen Hoffnung und Verzweiflung.
Erst kam der Schock. Dann die Sorge. Dann diese Welle aus Hilflosigkeit.
Lebt sie? Hat sie sich nur verflogen? Ist sie verletzt? Und vor allem: Was tun?
Allein mit der Angst
Ich suchte Hilfe.
Ich wühlte mich durch Telefonnummern, NABU, Wildtierstationen, Fledermausnotrufe.
Doch die Realität? Notrufnummern, die frühestens ab 10 Uhr erreichbar sind.
Es war 6:30. Dann 7. Dann 8. Und niemand ging ran.
Ein Tier hängt hilflos am Netz – und ich?
Ich stehe da mit pochendem Kopf, zitternden Händen, einem nervösen Knoten im Bauch … und einer Telefonphobie, die mir das Atmen schwer macht.
Wer mich kennt, weiß: Telefonate gehören für mich in die Hölle der Alltagsangst. Und doch gab es heute niemand anderen, der hätte anrufen können.
Ich habe es trotzdem getan. Immer wieder.
Für Nox.
Für diese kleine Seele mit Flügeln.
Der innere Konflikt
Was, wenn sie abstürzt?
Was, wenn ich nichts tue – und sie stirbt?
Ich fühlte mich wie gefangen in einem Film ohne Drehbuch.
Die Sonne begann durch die Wolken zu blinzeln. Und ich konnte nichts befestigen, keine Decke, keinen Schutz, nichts. Denn sie hing außen.
Ich dachte: „Warum heute? Warum ausgerechnet heute, wo ich selbst kaum funktioniere?“
Aber irgendwie funktionierte ich trotzdem.
Ich schuf Schatten, beobachtete sie, bereitete alles für den Notfall vor. Und wartete.
Und dann … war sie weg.
Plötzlich.
Ganz leise.
Ohne Abschied. Ohne ein Zeichen.
Ich rannte nach unten, mein Herz schlug wie wild – doch da war nichts. Keine Spur. Keine tote Fledermaus am Boden. Kein Flügel, kein Schatten.
Nur der leere Platz am Gitter – und ein tiefer Atemzug, der mir fast die Beine wegzog.
Erleichterung. Reine, befreiende Erleichterung.
Sie hatte es geschafft. Oder das hoffe ich. Vielleicht hat sie sich in Sicherheit geflüchtet, vielleicht schläft sie jetzt irgendwo im Schatten eines alten Dachbalkens, trocken, warm – lebendig.
Ihr Name ist Nox
Ich taufte sie Nox.
Die stille Wächterin der Morgendämmerung.
Die, die kam, als alles noch schlief,
sich festklammerte an ein Netz aus Hoffnung –
und ging, als die Sonne sie rief.
Vielleicht war sie nur kurz in meinem Leben.
Aber sie hat mir gezeigt, dass es sich lohnt, die eigenen Grenzen zu überwinden – sogar mit pochendem Schädel und Angst in der Kehle.
Für ein Wesen, das nichts sagen kann. Das nichts fordert. Nur Hilfe braucht.
Was bleibt
- Ein leerer Insektenschutz.
- Ein Name, der sich in mein Herz geschrieben hat.
- Und die Erkenntnis, dass man manchmal zur Heldin wird, ohne einen Umhang zu tragen – sondern einfach mit Mut, einem Telefon in der Hand, und einem pochenden Kopf.
Wenn du auch mal in so eine Situation kommst:
Du bist nicht allein.
Du kannst handeln.
Und vielleicht heißt deine Nox dann anders – aber sie wird wissen, dass du da warst.
🆘 Fledermaus gefunden – Was tun?
Bitte versuche nicht, das Tier selbst zu versorgen.
Fledermäuse sind empfindliche Wildtiere, die besonderen Schutz und Fachwissen benötigen.
➡️ Wende dich immer an Expert*innen.
Sie wissen, was zu tun ist – und helfen dem Tier schnell und professionell.
📞 NABU-Fledermaus-Hotline:
030 / 284 984 5000 (werktags 10–16 Uhr, im Sommer auch abends)
🌐 www.nabu.de/fledermaus