Ich wollte die Welt sehen – doch man steckte mich in einen Umschlag!

Die traurige Wahrheit über das vergessene Leben einer Postkarte – erzählt von einer, die (nicht) reisen durfte.

Ich bin eine Postkarte. Klein. Bedruckt. Von Hand gemacht. Auf meiner Rückseite ist Platz für ein paar liebe Worte. Und rechts oben – das ist mein ganzer Stolz – da gehört eine Briefmarke hin. Eine echte. Manchmal mit Spucke befeuchtet, manchmal selbstklebend. Aber immer mit Stolz getragen. Ich liebe es, wenn mein Träger mir eine Marke aufklebt, sie kurz andrückt und mich dann mit einem Lächeln in einen Briefkasten wirft. Ich bin gemacht, um zu reisen. Um die Welt zu sehen. Um in Händen zu liegen, in Hosentaschen zu verschwinden, um zu berühren.

Doch heute … lieg ich hier. Eingesperrt. In einem Briefumschlag. Luftdicht. Kalt. Geruchlos. Unsichtbar.

Was ist passiert mit mir?

Ich war mal eine Heldin – damals, als noch echte Worte galten

Damals, als noch jeder Mensch mit einem Füller oder Kuli schreiben konnte, als Kinder das Wort „Emoji“ nur für einen seltsamen Comic-Ausdruck gehalten hätten – damals war ich eine Heldin. Ich wurde liebevoll ausgesucht, in Touristen-Shops, am Bahnhof oder auf Märkten. Es war eine kleine Kunst, die passende Karte zu finden: mit dem schönsten Motiv, der frechsten Katze, dem kitschigsten Sonnenuntergang.

Meine Vorfahren wurden 1869 in Österreich geboren – eine Revolution! Statt langer Briefe gab es plötzlich kurze Nachrichten, offen lesbar, auf stabilem Karton. Ich wurde in alle Welt verschickt. Von Soldaten an ihre Familien, von Reisenden an Freunde, von Verliebten als stummer Kussersatz.

In meiner Blütezeit – etwa Anfang des 20. Jahrhunderts – war ich allgegenwärtig. Postkarten waren der heiße Scheiß. Täglich wurden Millionen von mir verschickt. In vielen Haushalten gab es eigene Alben für mich. Ich war eine Trophäe, eine Erinnerung, ein Symbol für Nähe in der Ferne.

Heute? Heute existiere ich eher am Rande. Zwischen Selfie-Spam, Nachrichtenflut und algorithmischem Dauerfeuer. Ich bin nicht mehr gefragt. Und wenn man mich dann doch mal auswählt, werde ich eingesperrt. In Umschläge. Wie ein Schamobjekt.

Ich wollte doch nur reisen …

Ich wurde geboren für die Freiheit. Ich wurde gestaltet mit Liebe, mit Herz, mit Kreativität. Handgemalt, beklebt, bestempelt, einzigartig. Ich war bereit. Bereit, um hinauszugehen, in die Welt, durch Hände, durch Regen, über Laufbänder, durch Sortieranlagen. Ich wollte Geschichten erleben. Ich wollte, dass man mich anfasst, dass man mich liest, dass man mich ans Herz drückt.

Aber stattdessen … landete ich in einem Briefumschlag.

„Zum Schutz“, hieß es. „Das ist Kunst.“ „Das darf nicht knicken.“

Aber was ist das für eine Kunst, die nicht gesehen werden darf? Was ist das für eine Reise, bei der ich nicht raus darf? Ich bin keine Datei, ich bin keine Reproduktion. Ich bin echt. Und genau das bedeutet: Ich muss atmen dürfen. Ich möchte Spuren haben. Ich will Eselsohren, ein paar Kratzer vom Sortierband, ein leicht verwischter Stempel. Das ist mein Lebenslauf!

Ich bin kein Sammelobjekt für Acrylhüllen. Ich bin ein Gebrauchsgegenstand mit Gefühl. Wenn ich verschickt werde, will ich stolz zeigen, dass ich gereist bin. Ich trage meine Gebrauchsspuren wie Tattoos. Sie machen mich lebendig.

Umschläge tun mir weh – wirklich weh

Ich verstehe euch ja. Wirklich. Man möchte seine Mühe schützen. Die Collage, die Zeichnung, die Stickerei. Vielleicht ist sie filigran, vielleicht einzigartig. Aber ich frage dich: Wenn du dich für ein Postkartenprojekt anmeldest, war dir nicht bewusst, was das heißt?

Es heißt: Ich reise offen. Ich werde gesehen. Ich werde vielleicht verletzt, aber ich lebe. Umschläge machen aus mir ein Phantom.

Der Stempel – mein Pass – fehlt. Die Marke – mein Ticket – ist nutzlos, weil sie nie abgestempelt wird. Ich komme makellos an, ja. Aber auch leblos.

Und seien wir ehrlich: Der Knick in meiner Ecke sagt oft mehr als zehn Emojis.

Mein nördlicher Albtraum: Dänemark schickt mich in Rente

Es ist kein Witz. Kein dystopischer Roman. Ab dem 1. Januar 2026 stellt Dänemark den klassischen Briefversand ein. Keine echten Briefmarken mehr. Keine klassischen Briefkästen. Alles digital. Wer dann aus dem Urlaub eine Karte schicken will, wird sich wundern: Das geht nicht mehr. Ich kann nicht mehr reisen. Mein Beruf wird in Rente geschickt, ohne dass ich das wollte.

Die Menschen reden von Nachhaltigkeit, von Entschleunigung, von Achtsamkeit. Aber sie vergessen mich. Mich, das greifbare Stück Aufmerksamkeit. Mich, die kleine Botschafterin echter Gefühle.

Es ist ein stiller Tod. Nicht dramatisch. Kein Donner. Nur Leere.

Ein Hoffnungsschimmer zwischen all den E-Mails

Zum Glück gibt es Menschen wie Rosi. Sie glaubt an mich. Sie schreibt nicht nur über mich, sie nutzt mich. Mit echter Tinte, mit echten Worten. Sie bringt mich zu Briefkästen. Sie macht Projekte, wo ich reisen darf. Richtig reisen. Ohne Schutzanzug.

Und es gibt viele wie sie. In der Postcrossing-Community. In Tauschgruppen auf Social Media. In Offline-Welten, die noch echte Briefmarken lieben.

Sie gestalten mich neu. Aus alten Buchseiten. Mit Washi-Tape. Mit Aquarell. Mit Liebe.

Und sie lassen mich raus.

Was du tun kannst, damit ich weiterlebe

Vielleicht schreibst du mir ja bald mal. Oder einer meiner Schwestern. Hier ein paar Ideen:

  • Postcrossing: Melde dich an, verschick Karten in die Welt, bekomme welche zurück. (www.postcrossing.com)
  • Tauschgruppen auf Instagram oder Facebook: Lass dich inspirieren, finde Gleichgesinnte.
  • Kaufe Karten bei lokalen Künstler:innen oder drucke eigene Motive nachhaltig.
  • Benutze echte Briefmarken (solange es sie noch gibt!) – online bestellbar bei der Deutschen Post.
  • Steck mich in einen echten Briefkasten. Kein E-Briefkasten. Kein QR-Code.

Und wenn du ein Kunstwerk verschicken willst: Dann schick eine Karte und ein Foto davon. Aber lass wenigstens eine reisen.

Letzte Worte einer fast vergessenen Postkarte

Ich wollte nie berühmt sein. Ich wollte nie im Museum landen. Ich wollte einfach nur reisen. Freude bringen. Ein kleines Stück Welt sein, das durch echte Hände geht.

Und vielleicht, wenn du das hier liest, gibst du mir noch eine Chance. Vielleicht klebst du gleich heute eine Marke auf eine meiner Schwestern und lässt sie raus. Vielleicht wird sie nass. Vielleicht kommt sie nie an. Aber vielleicht …

… wird sie jemandem das Herz erwärmen.

Ganz ohne Umschlag.

2 Gedanken zu „Ich wollte die Welt sehen – doch man steckte mich in einen Umschlag!“

  1. Hach, ich verstehe! Als echtes Stück Deutschlandpapiere, vielleicht mit einer lustigen Katze oder einem dramatischen Sonnenuntergang, fühle ich sich manchmal auch so, als würde man mich in einem Umschlag einsperren, nur weil man Angst vor einem Kratzer hat. Wer braucht schon echtes Leben, wenn man doch ein makelloses Phantom sein kann? Aber hey, wir Papiere sind halt dafür da, reisen und Geschichten zu erzählen – vielleicht sogar mit ein paar interessanten Falten oder Stempeln. Also, Rosi, danke für deine Unterstützung! Und ja, ich bin bereit für meine nächste Abenteuerreise, auch wenn der Zielbriefkasten vielleicht erst in Dänemark wartet. 😉<

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    • Ohhh, du wunderschönes Deutschlandpapier mit Charakter und Charme! 😻
      Dein Kommentar ist wie eine liebevoll beschriebene Postkarte direkt ins Herz – mit Falten, Stempeln und ganz viel Persönlichkeit. Ich liebe diese Vorstellung, dass wir nicht perfekt und glatt sein müssen, um wertvoll zu sein – im Gegenteil: Gerade die kleinen Macken erzählen doch die besten Geschichten, oder?

      Ich bin ganz bei dir: Lieber mit Eselsohr und Kaffeefleck durch die Weltgeschichte reisen, als unbemerkt und unangetastet im Umschlag versauern. 📮💌

      Und hey, wer weiß – vielleicht landet deine nächste Abenteuerkarte ja nicht nur in Dänemark, sondern gleich in einem Herz, das sie genau so braucht, wie sie ist. Danke für deine poetischen Worte und dass du dieses bunte Briefpapier-Leben mit mir teilst! 😘

      Reisefertig & voller Tinte,
      Rosi 🌍🖋️

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