Kai Havaii
Hart wie Marmelade
Ein Rock’N’Roll-Roman aus der Provinz
Verlag: Kiepenheuer
Erscheinungsjahr: 2007
Seiten: 288
ISBN: 978-3-378-00679-9
Klappentext
Hart wie Marmelade ist die Geschichte eines jungen „Spontis“ aus der westfälischen Provinz, der es zum neuen Popstar bringt: In Hagen, der Wiege der Neuen Deutschen Welle, nimmt alles seinen Anfang. Kai Havaii wird Sänger der Achtziger-Kultband EXTRABREIT – von den Fans heiß geliebt, von Franz Josef Strauß indiziert, von Musikkritikern gehasst. Nach dem komenthaften Aufstieg folgt der Absturz, Ecstasy auf Ibiza, Koks in New York, schließlich Heirat und ein fulminantes Comeback, das von Entziehungskuren, Verhaftungen und tragischen Abschieden begleitet ist.
Eindrücke / Meinung
Ich bin und bleibe eine Leseratte. Besonders gerne lese ich, gleich nach Horrorromanen. Biographien/ Schicksalsreports und alles in diese Richtung. Mein Freund empfahl mir das Buch „Hart wie Marmelade“ und konnte mir das auch, praktischerweise, direkt ausleihen. 😉
Dieses Buch wurde von Kay Schlasse, den meisten wohl besser bekannt als „Kai Havaii“ geschrieben. Spätestens bei dem Namen „EXTRABREIT“ wird es wohl, grade bei den etwas älteren klicken.
(Für alle die damit noch immer nichts anfangen können: Bei „EXTRABREIT“ handelt es sich um eine Band à la Punk ‚N’ Roll. Die Texte waren teilweise sehr ironisch (zynisch) und bezogen sich meist auf politische Themen. Sie trauten sich zu singen was viele dachten und wurden so zum Vorreiter des Punk. Einige der erfolgreichsten Songs: „Hurra, hurra, die Schule brennt“, „Polizisten“, „Flieger, grüß mir die Sonne“ und „Hart wie Marmelade“.)
Kai war der Sänger und Texter vom EXTRABREIT. In diesem Buch nimmt er seine Leser mit in die Vergangenheit. Damals war der Autor noch freier Grafiker und fuhr nachts Taxi. Er erzählt von seinen kleinen Erfolgen, Träumen und dem WG-Leben.
Langsam wird der Leser Zeuge, wie sich etwas entwickelt und wird Zeuge der Bandgründung. Sehr interessant sind die umstände und Zufälle, die die Mitglieder zusammen geführt haben. So sollte Kai eigentlich nur jemanden vertreten, aber wie wir ja bereits wissen wurde er zum festen Bestandteil der Band!
Rasant stieg EXTRABREIT an die Spitze der Charts. In genau so einem Tempo wird der Leser mit zu Konzerten, Interviews und in Bars geschleift. Hier hätte ich es mir doch ab und an etwas langsamer gewünscht. Sehr schön finde ich das viel über das geschrieben wird, was den Autor berührte, grade auch vor und nach den Auftritten. So wird alles etwas greifbarer und man bekommt als Leser einen VIP-Pass mit Zutritt zum Backstagebereich der Gedanken von Kai Havaii.
Ziemlich schnell ebbt die „Neue Deutsche Welle“ ab und somit auch der Erfolg der Band. Der Leser wird Zeuge wie sich die Bandmitglieder nach und nach auseinanderleben. Die Ziele und Vorstellungen scheinen einfach zu unterschiedlich. Alle Versuche sich über Wasser zu halten scheitern und so löst EXTRABREIT sich schließlich auf.
An dieser Stelle spürte ich ein wenig Trauer und die Enttäuschung des Autors. Auf der anderen Seite auch ein wenig Erleichterung, wiedergewonnen Freiheit. Ein komisches Gefühl, das ich gut nachvollziehen konnte.
In Paris lernt Kai eine amerikanische Fotografin kennen, die er schließlich heiratet. Durch sie gerät er in den Sog aus Drogen und gleitet immer mehr ab. Er beschließt die Band wieder aufleben zu lassen, doch der Erfolg bleibt aus. Neben dem Geldmangel macht der Drogenkonsum allen immer mehr zu schaffen. Als Kai eines Tages Zitronenteegranulat von einem Dealer erwirbt und, mal wieder, verhaftet wird, beschließt er den Drogen zu entsagen. Der Leser wird Zeuge wie sich der Autor, freiwillig, in eine geschlossene Psychiatrie einweisen lässt und sich dem Kampf stellt. Besonders rührend fand ich die Szenen in denen sich Kai um seine Mitpatienten, teils dement, gekümmert hat. Für ihn scheint es das normalste der Welt gewesen zu sein alle Menschen gleich zu behandeln. Ich begrüße diese Einstellung sehr.
Nach dem Entzug geht es auch mit EXTRABREIT wieder aufwärts. Ein Duett mit Hildegard Knef und ihrem Song „Für mich soll’s rote Rosen regnen“ verschafft der Band einen erneuten Aufschwung. EXTRABREIT ist zurück …
In der Mitte des Buches befinden sich einige Seiten mit schwarz-weiß Fotos. Hier bekommt der Leser noch einmal einen kleinen Auszug aus den Bandjahren.
Der Schreibstil ist etwas salopp, eher als würde man die Briefe eines Kumpels lesen. Aber genau das macht diese Rückblende aus. Es passt einfach zu EXTRABREIT als solches und ich hatte teilweise wirklich das Gefühl alles von „Angesicht zu Angesicht“ erzählt zu bekommen.
Leider wirkt alles etwas kühl. Ich hätte mir mehr Emotionen und Gefühl gewünscht. Diese kommen nicht so gut rüber. Es bleibt, trotz des Kumpelhaften, eine gewisse Distanz zwischen Autor und Leser.
Dennoch: in diesem Buch erlebt man die Höhen und Tiefen von Kai Havaii hautnah mit. Man leidet und freut sich mit ihm. Er wird greifbar. Eine gute Portion Selbstironie sorgt für den ein oder anderen Lacher. – Ganz in EXTRABREITmanier. 😉
Ich kann dieses Buch (und auch die Musik^^) empfehlen. Allerdings stellte ich beim lesen immer wieder fest wie alt ich doch schon bin…. Denn auch ich durfte die Band „grade noch“ erleben. 🙂